Elena Lorenz 

 

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Patchwork 2019

 


Ich bin in Russland geboren und in der Stadt Kursk aufgewachsen. Meine Familie hat früher in Weißrussland gelebt und während des zweiten Weltkriegs musste siein die Ukraine umziehen, wo sie auch geblieben ist. Meine Mutter ist in der Ukraine geboren und aufgewachsen. Nach der Schule studiertesie an der Universität und nach dem Uniabschluss bekam sie eine Arbeitsstelle in Kursk zugewiesen, wie es damals üblich war. Dort lernte sie meinen Vater kennen und sie bildeten eine Familie.Wenn ich gefragt werde: „ Wie und wo habe ich sticken gelernt?“, kann ich nicht sofort darauf antworten, weil Sticken mein ganzes Leben ist: Freude, Trauer, Erfolge und Enttäuschungen, verschiedene Umstände und vieles mehr, was meinen Stil beeinflusste. Ironisch könnte ich sagen, dass das Sticken in mir bereits vor meiner Geburt angelegt war. Die Handarbeit ist tief in unserer Familie verwurzelt. Alle meine Vorfahren mütterlicherseits waren erstklassige Kunsthandwerkerinnen, nicht nur in der Stickerei, sondern auch beimWeben, Häkeln, Stricken und Schneidern. Meine Uroma hat Leinen angebaut und Wolle gesponnen. Schon als Kind habe ich gerne zugesehen, wie leicht ihre Hände arbeiteten. Sie war schon in einem Alter in dem sie ihren Haushalt nicht mehr führen konnte, aber zu meinem jetzigen Erstaunen hat sie immer ohne Brille gestickt und gestrickt, früher sogar nur bei Kerzenlicht. Sie war meine erste Lehrerin. Spielend mit Fäden, Spulen und Stickrahmen habe ich langsam die Stimmung meiner zukünftigen Beschäftigung übernommen. So hat sich der Anfang meines kreativen Lebenswegs entwickelt. Als ich viele bunte Fäden geschenkt bekommen habe, die ich bis heute aufbewahre, war ich auf Wolke sieben vor Glück! Ich habe sie durchgesehen und sortiert und habe mir dann vorgestellt, was ich daraus sticken werde, ohne überhaupt sticken zu können. Meine Wissbegier war so groß, dass ich zum ersten Mal mit fünf Jahren zu sticken anfing. Dieses Interesse wurde langsam zu meinem Hobby, was ich aber damals noch nicht wahrgenommen habe. Ich war wissbegierig und sehr energisch. Meine Kusine, meine Schwester und ich haben oft unsere Ferien bei der Oma verbracht. Ihrkleines Gartenparadies hat mich immer mit seiner Schönheit begeistert. Das gemütliche Häuschen war in Blumen versunken, man konnte das Haus kaum noch sehen. Wir haben oft Schlösser und Puppen aus den Blumen gebaut und Puppenkleidung genäht. Oma und Opa haben uns alles erlaubt und haben uns bei allen unseren Ideen geholfen. Das war wunderbar! Keine Handys, PCs, kein Internet. Das war pures Glück und Naturerlebnis! In den damaligen Zeiten gab es in Russland nicht so viel Literatur über Handwerk. Sticken war nicht verbreitet und sogar altmodisch, aber mein Interesse zur Stickerei hat sich verdoppelt, nachdem meine Schwester sich Burda Zeitschriften gekauft hatte. Das war ein kreatives Paradies! So viele nützliche Informationen. Ich kann sicher sagen, dass ich vieles von dieser Zeitschrift gelernt habe. Danach kamen noch andere europäische Zeitschriften, die ich in guter Erinnerung habe. Parallel dazu setzte ich aufgrund meiner Liebe zur Stickerei und Malerei meine künstlerische Bildung in einer Malschule fort. Dort lernte ich meine erste wunderbare Lehrerin kennen, Frau Starodubzeva L.I., die mich fest an das Sticken band. Dank des Talentsmeiner Lehrerin habe ich auch den Lehrer Beruf gewählt und studierte Lehramt Kunst auf der Staatlichen Universität Kursk. Dies eröffnete mir neue Perspektiven und Möglichkeiten in meiner künstlerischen Ausrichtung. Meine Diplomarbeit war eine Stickerei eines Stierkämpfer-Kostüms für ein Theaterstück im Kindertheater „Rowesnik“. Nach dem Uni-Abschluss kehrte ich zu meiner Lieblingskunstschule nach Einladung des Direktors Starodubzev A.H. als Kunstlehrerin zurück. Meine Lehrerin und ich gründeten in der Kunstschule ein sogenanntes Ruschnik-Museum. Ruschnick ist eine russische Bezeichnung für ein festlich besticktes Tuch. Nach russischer Tradition werden Gäste mit Brot und Salz auf diesem Ruschnick empfangen. Auf diese Weise haben wir die Tradition für die nächste Generation bewahrt. Auf Grund von uralten Werken unseres Museums lernen die Kinder die Geschichte des Ruschnicks und schaffen ihre eigenen neuen Stickereien mit den alten Symbolen.Die Arbeit in der Kunstschule hat mich immer stimuliert, neue Ideen für meinen Unterricht zu suchen und etwas Neues auszuprobieren. Seit diesem Moment begann sich mein neuer Stil im Sticken zu entwickeln: eine Kombination aus Wasserfarben, Landschaften und Stickgarn. Es war am Anfang schwer von dem an der Uni Gelernten zuden leichten Konturen meiner Werke zu kommen. Trotz der leichten Wahrnehmung meiner Werke, halten sie mich in Spannung vom ersten bis zum letzten Stich. Ich wollte schon immer über die Standards der klassischen Stickerei hinausgehen und etwas Neues entwickeln, auf Basis des Erlernten. Ich wollte meine Innere Welt auf meine Weise präsentieren. In meinen Werken wird endlich meine echte Stimmung, meine eigene Schrift ausgedrückt. Zuerst waren das Arbeiten mit nur wenigen Garn-Farben und kleinen Stücken Grundstoff, danach wollte ich Effekte der Perspektive und Luftigkeit durch weitere Farben einfügen. Da ich Fan des Impressionismus und des Neoimpressionismus bin, entschied ich mich, diese Technik in die Stickerei zu bringen. Pointilisten haben oft das System der Interaktionvon Farbkontrasten benutzt. Und genau diese Methode hat zur Wahl der Garn-Palette gepasst, die man nicht wie echte Farbe mischen kann. Mit jedem meiner Werke versuche ich was Neues zu entwickeln. Ich bin immer auf der kreativen Suche. Dank der Teilnahme an den verschiedenen textilen Kunstmessen in Russland und Osteuropa, unterhalte ich mich mit anderen wunderbaren Künstlern und inspiriere mich unglaublich. Dank meiner Liebe zur Stickerei lernte ich meinen deutschen Mann kennen, der meine Kunstin allen Tiefen versteht und mich mit ganzem Herzen unterstützt. Nach dem Umzug nach Deutschland begann eine neue Etappe in meinem Leben. Europa hat mit seiner Schönheit mein Herz erobert! Während der Reisen mit meiner Familie mache ich sehr viele Fotos für meine zukünftigen Projekte. Danach skizziere ich die Bilder. Die Auswahl von Garnen und Stoffen treffe ich während des Stickens. Als Künstlerin probiere ich verschiedene Farben und Strukturen. Wenn ich mit dem Ergebnis unzufrieden bin, trenne ich alles auf und beginne von Anfang an. Wie ein Maler seinen Pinsel führt, so setze ich meine Stiche und Knoten. Nur statt Pinsel habe ich zahlreiche Nadeln mit verschiedenen Farbtönen. Die Arbeit beginnt und ich tauche in meine Fantasie Welt ein. Warum liebe ich es, Naturmotive zu sticken? Ich denke, es gibt nichts Schöneres und Einzigartigeres als sie. Nur die Natur gibt das Gefühl der Ruhe und des Glücks. Und sehr oft, wenn ich sticke, denke ich an das Haus meiner Oma. Jede meine Stickereien ist eine von mir erlebte Geschichte. Wie ein Glücks-Tagebuch. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, schaue ich meine gestickten Bilder an und mache noch einmal die Reisen, die wir mit meiner Familie gemacht haben. Das nenne ich Glück. Das ist meine eigene Sprache, dank der man mich überall versteht. Während der Teilnahme an den europäischen Ausstellungen und Messen lese ich die Stimmung von Menschen an ihren Augen, Lächeln. Wie schön ist das, wenn die Menschen dasselbe fühlen, was ich auch versucht habein meinen Werken weiterzugeben. Kunst verbindet und solche Begegnungen geben uns die Möglichkeit nachzudenken über den Zusammenfluss der Kunst in den Generationen, über die Bedeutung der Handarbeit im Leben der Frau, über die Pflege der Tradition. Deswegen versuche ich die Erinnerung der Generationen zu erhalten,Traditionen wieder zu beleben, stelle mit meinen Händen etwas Neues und Einzigartiges her. Ich möchte die deutsche und europäische Geschichte der Stickerei sowie der textilen Kunst noch tiefer kennenlernen und für diese Kunst Art nicht nur Frauen, sondern auch Jugendliche begeistern. 

                                                                                    Aus dem Russischen übersetzt von Elena und Jochen Wermuth